… erinnern wir uns an sie.

Gottesdienst zu Totensonntag

Beim Rauschen der Blätter
und in der Schönheit des Herbstes
erinnern wir uns an sie.
Zu Beginn des Jahres
und wenn das Jahr zu Ende geht,
erinnern wir uns an sie.
Wenn wir müde sind
und Kraft brauchen,
erinnern wir uns an sie.

Was bleibt von einem Menschen? Fotos, Lieblingsstücke, vielleicht ein Poesiealbum. Beim Gottesdienst zu Totensonntag spürte die Gemeinde dem Erinnern nach. Ausgangspunkt war das Poesiealbum der mit 17 Jahren in Auschwitz ermordeten Lilo Ermann. Eine Ausstellung im Rathaus St. Johann vom 14. bis 24. November gab mittels des Poesiealbums Einblicke in das Leben der Saarbrückerin.

Im Gottesdienst wurde der im zurückliegenden Jahr Verstorbenen der Gemeinde namentlich gedacht. Das Collegium Musicum Schafbrücke unter Leitung von Marie Steis umrahmte den Gottesdienst musikalisch. 

Die Texte zum Gottesdienst hat Veronika Kabis geschrieben. Vorgetragen wurden sie von Nikolai Halbach, Constanze Göbel und Betina Speicher. Hier kann man sie nachlesen.

Lilo Ermann (Yad Vashem)

Texte aus dem Poesiealbum von Lilo Ermann, gesprochen von einem Schüler der Schule im Rastbachtal

 

Wenn du einst in schweren Stunden
Traurig in dies Album siehst
Dann gedenke deiner Mutter
die dir gerne Trösterin ist.

Das schreibt eine Mutter ihrer Tochter ins Poesiealbum, irgendwann zwischen 1936 und 1939. Die Tochter heißt Lilo. Beide wissen noch nicht (vielleicht ahnt die Mutter es schon?), welche schweren letzten Stunden ihnen in wenigen Jahren bevorstehen werden. Ob sie ihrer Tochter in diesen Stunden einen letzten Trost hat geben können? Ob sie sich gegenseitig haben trösten können oder aber gänzlich ungetröstet in den Tod gegangen sind?

Ich hätte gerne einmal geblättert in Lilo Ermanns Poesiealbum. So richtig geblättert, das vergilbte Papier unter der Haut gespürt und rascheln gehört. Über die schon so lange getrocknete Tinte gestrichen, wäre gerne mit dem Finger der geschwungenen Schrift von Freundin Mia oder der geheimnisvollen Sütterlinschrift einer älteren Verwandten gefolgt. Das echte Album ist wieder zurück in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, wo Tausende von Artefakten aufbewahrt werden, Gegenständen, die Jüdinnen und Juden gehört haben, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind.

Lilo Ermann war eine von ihnen. Sie war 17, als sie in Auschwitz starb. Sie war Saarbrückerin. Ihre Eltern und sie haben in der Karcher Straße gewohnt. Ihr Onkel Leo hat überlebt und ist nach Israel ausgewandert. Dessen Sohn hat vor ein paar Jahren Lilos Poesiealbum gefunden und der Gedenkstätte übergeben. Yad Vashem ist zurzeit geschlossen, seit den Terrorangriffen vom 7. Oktober.

In einer Ausstellung im Rathaus St. Johann haben die Landeshauptstadt Saarbrücken, der Freundeskreis Yad Vashem in Berlin, die Synagogengemeinde Saar und einige weitere Saarbrücker Organisationen und Schulen an Lilo Ermann und ihr Poesiealbum erinnert. Über ein Jahr lang haben sie die Ausstellung und das Begleitprogramm mit Rundgängen auf den Spuren von Lilo vorbereitet. Sie sind eingetaucht in ihr Leben – das wenige, das darüber bekannt ist – und haben sich mit dem Erinnern beschäftigt. Ein Totengedenken auf den Spuren eines fröhlichen, ganz normalen Saarbrücker Mädchens.

In Ersten Testament der Bibel heißt es in den Weisheitssprüchen (2,4): Unser Name wird mit der Zeit vergessen, und niemand wird sich unseres Tuns erinnern. Unser Leben fährt dahin, als wäre nur eine Wolke da gewesen, und zergeht wie Nebel, der von den Strahlen der Sonne verjagt und von ihrer Hitze verzehrt wird.

Die Angst, dass wir vergessen werden, spricht aus diesen biblischen Zeilen. Dass alles vergebens ist, was wir im Leben gemacht, wofür wir gelebt und gearbeitet haben, was uns so wichtig war, dass wir dafür gestritten, gekämpft, vielleicht sogar gelitten haben. Wofür war es gut, wenn sich bald schon niemand mehr an uns erinnert? Heute mag man sich vielleicht damit trösten, dass „das Internet nichts vergisst“, dass zumindest unsere digitalen Spuren noch lange zu finden sein werden. Aber wer weiß, ob das die Spuren sind, die wir tatsächlich legen wollten. Ob es das ist, was von uns bleiben soll, ein mehr oder weniger zufälliges Aufblitzen von Kommentaren, Likes und Bildern, die allenfalls Bruchstücke unseres Lebens erkennen lassen. Auch manches Peinliche vielleicht, von dem wir lieber hätten, es wäre nie in die Welt gekommen.

Das beste Archiv ist noch immer eines aus Papier, werden Archivare nicht müde zu betonen. Papier kann man, so empfindlich und vergänglich das Material ist, im Zweifelsfall besser aufbewahren als digitale Daten, für die es binnen weniger Jahre oft nicht mal mehr die passenden Programme gibt, um sie zu öffnen.

So gesehen sind altmodische Tagebücher und Poesiealben nicht nur nostalgische Zeitdokumente und Zeugnisse einer bestimmten Sprachform und eines literarischen Geschmacks, sondern sie sind unschätzbare papierne Archive.   

Über Poesiealben

Vermutlich hatten auch einige von Ihnen in ihrer Kindheit und Jugend ein Poesiealbum. Freunde, Verwandte, Lehrerinnen: Sie alle mussten sich darin verewigen. Vorläufer des Poesiealbums war übrigens das „Stammbuch“. Im 16. Jahrhundert entstand der Brauch, Gästen und Freunden ein Buch vorzulegen, um sie darin Verse, Zeichnungen und Widmungen eintragen zu lassen. Die Eigentümerin hoffte natürlich, dass ihr keine negativen Bemerkungen „ins Stammbuch geschrieben“ würden!

Wenn Sie heute in Ihren Poesiealben blättern, freuen Sie sich gewiss an den Sprüchen, die andere Menschen Ihnen damals mitgegeben haben. Vielleicht an diesem: „Wenn’s Glück dir lacht, ich hab’s gebracht!“ Gegen andere Verse darf sich heute durchaus leiser Protest regen: „Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam bescheiden und rein, nicht wie die stolze Rose, die stets bewundert will sein…“. Viele Sprüche waren erkennbar religiös: „Üb immer Treu und Redlichkeit / bis an dein kühles Grab / und weiche keinen Fingerbreit / von Gottes Wegen ab.“

Wecken die Verse von Schulfreundinnen nostalgische Erinnerungen an vergangene Tage, so berühren die Eintragungen von Erwachsenen auf andere Weise. Ihre Tiefe kann ein Kind oftmals noch gar nicht erfassen. Der Gedanke, einem Kind gute Worte mit ins Leben zu geben, ist natürlich viel älter als das Poesiealbum. Bei der christlichen Taufe ist es bekanntlich Brauch, für den Täufling einen biblischen Spruch auszuwählen. Auch dessen Bedeutung erschließt sich oft erst im Laufe des Lebens. Manchmal kann man erleben, wie gerührt ein Mensch ist, wenn er seinen eigenen Taufspruch wiederentdeckt – und darin die Liebe seiner inzwischen verstorbenen Eltern, die ihm zum Beispiel einen Engel an die Seite gewünscht haben.

Auch aus den Einträgen in Lilo Ermanns Poesiealbum spricht eine solche liebevolle Zugewandtheit der Erwachsenen zur Tochter, Enkelin und Nichte. Lilos Onkel Leo, der später nach Israel ausgewandert ist, war Schriftsteller. Vermutlich stammen seine Zeilen für Lilo vom 3. Januar 1937 von ihm selbst. Er schreibt:

So oder so muss man die Dinge nehmen,
so lauten unsrer Freunde Albumthemen
und sicher sind die Sprüche gut gemeint
Doch letzten Endes zieht uns die Verpflichtung
zur eignen Denkart hin –
in einer Richtung
die ganz allein uns nur die rechte scheint.
Ich glaub‘, es kann nicht schaden, wenn am Ende der Laufbahn,
die man innerlich erschaut,
ein höhres Wesen steht, dem man vertraut.
Man bleibt gelassen in der Schicksalswende und hadert nicht,
wo nur Vertrauen bezweckt,
dass man sein Ziel erreicht, das man sich steckt.
Der Gleichmut hilft uns wo der Glaube wirkt,
dass Gott zuletzt uns doch noch in sich birgt.
Onkel Leo/ 3.1.37

Was für kluge Verse! Da ermutigt der Onkel die zehnjährige Nichte zum eigenständigen Denken; ermutigt sie dazu, nicht bei den allgemeingültigen Albumsprüchen stehen zu bleiben, sondern sich auf den eigenen Weg vorzuwagen – in eine Richtung, die „ganz allein nur uns die rechte erscheint“. Der Glaube an Gott soll das Mädchen dabei nicht gängeln und bedrängen, sondern behutsam unterstützen und durch schwere Zeiten tragen. „Ich glaub‘, es kann nicht schaden, wenn (…) da ein höhres Wesen steht, dem man vertraut. Man bleibt gelassen in der Schicksalswende…“

Das Poesiealbum als Auslöser für Erinnerungen. So wie ein Duft oder der Geschmack einer bestimmten Speise Erinnerungen auslöst. Unser Gedächtnis ist so etwas wie ein lebendiger Speicher – wie er genau funktioniert, das weiß die Wissenschaft bis heute kaum. Durch Anstöße, seien es Bilder, Worte oder bestimmte Reize, kann der Speicher, der vielfach auf unbewusste Weise wirkt, aktiviert werden.

Glück - Poesiealbum Lilo Ermann (Yad Vashem)


Das Erinnern auf dem Weg der Trauer

Das Erinnern gehört zum Weg der Trauer. Die Angehörigen von Menschen, die in den letzten Monaten verstorben sind, wissen, wovon ich spreche. Wenn mein geliebter Mensch nicht mehr da ist, dann werden die lebendigen Erfahrungen der Nähe, die wir Jahre oder Jahrzehnte geteilt haben, vielleicht zu Bildern, zu Gedanken, die aufblitzen, wenn ein Name fällt, wenn ich an einen Ort komme, an dem ich mit ihm oder ihr schöne Momente erlebt habe; zu kleinen Filmen, die sich vor meinem inneren Auge abspulen, wenn jemand Geschichten von früher erzählt: „Weißt du noch?…“

Wenn mit dem Tod der Weg nach vorne abgeschnitten ist, bleibt nur die Erinnerung. Häufig findet man diesen Satz von Novalis in Todesanzeigen: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Oder: „So lange wir uns an dich erinnern, bist du nicht tot.“

Das Erinnern hat zwei Seiten: Es tröstet und es schmerzt. Es tröstet, alte Bilder und Filmaufnahmen anzuschauen, alte Briefe oder digitale Nachrichten zu lesen, sich der Liebe zu vergewissern, die einen verbunden hat. Die Erinnerung hilft, den Verlorenen nah und erreichbar zu halten, erst recht, wenn die inneren Bilder anfangen zu verblassen, wenn man anfängt unsicher zu werden, ob sich Dinge so oder anders zugetragen haben, wenn die Gesichtszüge, die Stimme, die Gestik der Verlorenen allmählich verlöschen.

Erinnern ist auch ein kreativer Akt. Man ruft Vergangenes in die Gegenwart und erlebt es im Jetzt. „Im Erinnerungsraum unserer Seele gibt es eigentlich keine Vergangenheit. Wenn wir diesen Raum aufsuchen, dann erleben wir den Verstorbenen jetzt. Wir erleben ihn als lebendiges Wesen von damals – aber eben im Augenblick! Das ist die ungeheuer tröstliche Erfahrung des Erinnerns“, so schreibt Roland Kachler in seinem Buch „Meine Trauer wird dich finden“ (S. 87).

Das Erinnern schmerzt zugleich: Es bohrt in der Wunde, und es macht ja auch nicht Halt vor dem, was vielleicht nicht gut war im Verhältnis zum Verstorbenen – Missstimmungen, ungeklärte Konflikte, Schuld und Verstrickung. Manch einer flüchtet sich auch so sehr in die Erinnerung, dass die Vergangenheit beschönigt und die Wirklichkeit nicht mehr gelebt wird.

In der Erinnerung hier und jetzt wiederum können wir die Beziehung zu dem geliebten Menschen leben. Wir wiederholen sie und vertiefen dabei unsere Liebe zu ihm. In der Erinnerung kommt uns der oder die Verstorbene ganz nah: Wir sehen ihn, wir reden mit ihm, wir hören sie. Das kann uns niemand nehmen. Auch nicht der Tod. Deshalb sind Erinnerungen einer der sichersten Orte für den Verstorbenen. Schon das Wort „Erinnern“ deutet dies an. Es ist verwandt mit „inwendig, im Innern liegend“ – ein sicherer, im Innern liegender Ort also.

In der Erinnerung, nicht im Loslassen, kann es gelingen, ins Leben zurückzufinden. Darin liegt letztlich der Sinn des Trauerns: Die Trauer ist nicht nur die Emotion des Abschieds, sondern sie ist das Gefühl, das Hinterbliebenen hilft, eine neue Beziehung zu der oder dem Verstorbenen zu finden (Kachler, S. 17). Die Trauer ist der Ausdruck der Liebe zu den Verstorbenen, und sie ist der Versuch, mit den Verstorbenen über den Tod hinaus in Verbindung zu bleiben.

Wer um einen Menschen trauert, darf und soll immer wieder in die Vergangenheit des Erinnerns eintauchen. Das schafft Momente, in denen man der Liebe zu und mit dem verstorbenen geliebten Menschen nachspüren kann.

Es gibt viele Möglichkeiten, das zu tun. Man kann Bilder betrachten und in Alben blättern. Man kann ein Erinnerungsheft führen und sich immer wieder kleine Notizen machen: „Ich sehe dich, wie du das Frühstück zubereitest.“ „Ich sehe dich, wie du im Sessel sitzt und in der Zeitung blätterst.“ Kleine Erinnerungen können der Schlüssel zu weiteren Erinnerungsschätzen sein, die bisher verborgen geblieben waren.

Man kann Erinnerungszeichen setzen: indem man zu bestimmten Anlässen eine bestimmte Sorte Kuchen auf den Tisch stellt – vielleicht den Lieblingsapfelkuchen als Erinnerungszeichen für gemeinsame Stunden beim Sonntagnachmittagskaffee. Man kann Erinnerungszeiten leben: etwa Jahrestage oder Geburtstage bewusst gestalten, ob alleine oder mit anderen zusammen. Man kann Cafés für Trauernde besuchen.

Die materiellen Erinnerungsorte sind individuell verschieden – und zunehmend verschiedener. Manche Hinterbliebenen brauchen das Grab, das sie selbst pflegen. Andere gehen nie auf den Friedhof oder in den Friedwald. Für sie sind vielleicht eher die Orte wichtig, an denen sie früher gemeinsam waren.

Trauerarbeit ist zu einem großen Teil Erinnerungsarbeit, bei der Hinterbliebene sich immer mehr und intensivere Erinnerungen „erarbeiten“, heranholen und in ihrem Inneren bewahren. Es geht nicht darum, ohne die Toten zu leben, sondern mit ihnen. Man kann dabei die Erfahrung machen, dass diese Erinnerungswelt zunehmend reicher wird, auch wenn man immer wieder auch an die schmerzlichen Seiten des Erinnerns rühren wird.

Erinnerungskultur und die Bibel als Erinnerungsbuch

Ich schlage noch einmal den Bogen zu Lilo Ermann, an die in den letzten zwei Wochen in Saarbrücken erinnert wurde. Dieses Erinnern ist mehr als ein bloßes Zurück-Denken, ein Denken an Vergangenes. Es ist gleichzeitig ein Auferstehen-lassen, ein Schaffen von Gegenwart. In der Erinnerung wird deutlich, dass wir geschichtliche Wesen sind. Wir leben nicht nur aus uns selbst, sondern auch aus dem, was vor uns war. Kulturen berauben sich ihrer Wurzeln, wenn sie ihre Traditionen und ihre Geschichte vergessen. Menschen setzen ihre seelische Gesundheit aufs Spiel, wenn sie ihre Lebensgeschichte hinter sich abschneiden. In Deutschland tragen wir eine besondere Verantwortung dafür, dass die Erinnerung an die Ermordeten des Holocaust gepflegt und sie nicht vergessen werden.

Als Christinnen und Christen sind wir nicht nur aufgrund der Werte, die wir teilen, zu einer solchen Erinnerungskultur aufgerufen. Jesus selbst fordert die Jünger dazu auf, sich zu erinnern, wenn er am Vorabend seines Todes sagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19). Er meint damit nicht nur, dass sie ihn nicht vergessen sollen, sondern er will, dass wir, ausgehend von der Erinnerung an ihn, das Leben und die Welt gestalten und zu einem besseren Ort machen.

Die Bibel ist das große Erinnerungsbuch schlechthin. Sie erzählt die Geschichte Gottes mit den Menschen in großen Bildern, und sie deutet diese Geschichte und aktualisiert sie immer wieder. Umgekehrt gilt: Gott vergisst den Menschen nie, auch dann nicht, wenn er sich von ihm abwendet und andere Wege geht. So spricht Gott in den Worten des Propheten Jesaia (Jes 49,14): “Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen, eine Mutter ihren Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht!“

Die Bibel als Erinnerungsbuch über viele Generationen neben das persönliche Erinnern an einen geliebten Verstorbenen zu legen, kann heilsam sein. Diese schmerzlichen Erinnerungen bekommen einen Raum, in dem sie aus der privaten Sphäre emporgeholt werden und sich verbinden lassen mit der Erkenntnis, dass unsere menschlichen Wunden eng mit dem Leiden Gottes verbunden sind. Wie gut kann es tun, sich in den Mantel der Schmerzensmutter Maria, die den Tod ihres Sohnes miterleben musste, zu schmiegen. Wie tröstlich, dass mir Menschen, die Jahrhunderte vor mir Verluste, Angst und Not erlebt haben, ihre Worte leihen: in den Psalmen mit ihren herzzerreißenden Klagen; in den Erzählungen von Hiob und anderen, die mit Gott haderten, weil sie ihr Schicksal und ihre Trauer nicht klaglos hinnehmen wollten; in den Worten und Taten Jesu, die daran erinnern, an welchen Werten ich mein Leben ausrichten kann.

Das Erinnern kann Halt geben. Es gehört, so sehe ich es, alles zusammen: Das Erinnern an einen geliebten Menschen, um den jemand trauert; das Erinnern an Menschen, denen Unrecht zugefügt wurde und für deren Nicht-Vergessen-Werden wir Verantwortung tragen; und schließlich das Erinnern an Jesus, das eine Gegenwart schafft, die Kraft gibt und Halt.

Woran sollen sich Menschen später erinnern, wenn ich einmal nicht mehr bin? Was soll von mir bleiben, abgesehen von ein paar mehr oder weniger wertvollen, materiellen Erb- und Erinnerungsstücken? Das ist eine Frage, die ich mir ab und zu stelle. Sie erinnert mich daran, dass ich aktiv etwas dafür tun muss, wenn ich möchte, dass sich andere später noch eine Zeitlang gerne an mich erinnern werden.

In Lilo Ermanns Poesiealbum gibt es einen Spruch, der Orientierung dafür geben kann. Vielleicht ist es eine Binsenweisheit, aber richtig ist sie allemal, diese kleine Anweisung zu einem gelingenden Leben, das anderen Menschen in Erinnerung bleiben wird:

Willst du glücklich sein im Leben,
trage bei zu Andrer Glück;
denn die Freude, die wir geben,
kehrt ins eigene Herz zurück.

Amen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.