Liebe ist…
Pfarrer i.R. Stephan Hüls gestaltete den Gottesdienst am 7. Januar über die Jahreslosung 2024.
„Alles was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1 Kor 16,14).
So kurz und knackig ist der Aufruf fürs neue Jahr. Diese Jahreslosung ist aus der Feder des Paulus, der am Ende des 1. Korintherbriefes die Gemeinde noch mal zum liebevollen Handeln anspornt. Ein Motto und Vorsatz für die nächsten 12 Monate.
Allerdings: unserer Vorsätze halten ja leider manchmal nur 5 Tage oder 3 Wochen. Altbekannte Vorsätze meine ich – wie: Dieses Jahr mache ich wieder mehr Sport, dass die Kilos purzeln, ich werde mehr auf meine innere Ausgeglichenheit achten, die Ernährung wird gesünder sein, für zwischenmenschliche Dinge möchte ich mehr Energie einsetzen… Beste Grundsätze, aus der Silvesternacht. Auch für uns als Gemeinde liegen Entscheidungen und mögliche Entwicklungen vor uns. Wir haben leitende Handlungsgrundsätze, die hoffentlich nicht so schnell über Bord gehen. Auch über unserem gemeindlichen Handeln darf gerne die Überschrift stehen: Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen.
Liebe als Handlungsmotiv ist ein tolles Schlagwort. Liebe scheint ein richtig gutes Motto zu sein, Liegt man damit nicht immer richtig?– damit muss doch eigentlich alles gut werden.
Über die Liebe schreibt Paulus im 1. Korintherbrief manches Aussagekräftiges. Sie ist oberster Maßstab. Nicht nur Hochzeitspaare fühlen sich davon angesprochen. Wir haben in der neutestamentlichen Psalmlesung (1 Kor 13) diese Worte vorhin gemeinsam gesprochen:
4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,
5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,
6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;
7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Wenn ich das alles hinkriegen soll, benötige ich viele Jahre. Und wenn ich mir z.B. den letzten Vers auf der Zunge zergehen lasse, dann bin ich mir noch nicht mal sicher, ob ich das als Ziel erreichen will: Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Wenn ich im Unterricht alles ertragen hätte, wenn ich meinen Schülern und Schülerinnen alles geglaubt hätte, dann wäre ich jämmerlich untergegangen. Und meine Schüler hätten sich von mir nicht wirklich geliebt gefühlt.
D.h. ich möchte gerne hinschauen, wie uns dieser Satz: „ Alles, was ihr tut, lasst in Liebe geschehen“, helfen kann. Ich beginne mit einer ersten klaren Ansage, die der alte Kirchenvater Augustin uns ans Herz legt, um dann in einem weiteren Schritt wie in einem Kaleidoskop die Impulse der Liebe für unterschiedliche Menschentypen in den Blick zu nehmen.
Also Annäherung an und mit Augustin: Zu seiner Zeit – genauso wie heute – gab und gibt es Christen, die gerne sehr klare Handlungsanweisungen für das tägliche Leben haben wollten. Sie sind zufrieden, wenn das Leben klar strukturiert ist.
Wenn dies oder jenes passiert, kann ich entsprechend so oder so reagieren. Klare Anweisung – klare Ausführung. Ohne großes Zögern und Nachdenken. Eine klare Handlungsanweisung hilft mir, Probleme im Leben zu lösen. Das bringt mich weiter – hoffentlich auch ans Ziel des Lebens.
Das wirkliche Leben ist manchmal sehr vielfältig und vielschichtig. Und die klaren Handlungsanweisungen sehen nur die Standardsituationen und berücksichtigen nicht die vielen Varianten des Lebens. Es wäre so schön gewesen, wenn das Leben genormt wäre und ich mit den klaren Anweisungen zurecht käme. Dann müsste ich auch nicht so viel nachdenken. Manchmal ist es gut, in Liebe alles zu ertragen – aber ein anderes Mal ist es besser, klare Kante zu zeigen und nicht alles zu ertragen.
Folgender Grundsatz, der auf Augustin zurück gehen soll, hat mich entsprechend schon lange begeistert:
Liebe, und tu, was du willst.
Dieser Satz „Liebe, und tu, was du willst“ öffnet ein großes Tor zur sogenannten Situationsethik. D.h. Gesetze und Regeln und Vorschriften rücken alle miteinander in das zweite Glied. Oberstes Kriterium ist, ob bei meiner Handlung die Liebe als Maßstab Raum einnimmt. Dieses Beiseiteschieben von Handlungsvorgaben macht mir als Handelndem eine Menge Denk- und Entscheidungsarbeit. Bei welcher Handlung gelingt es mir, für möglichst viele Menschen Liebe spürbar werden zu lassen. Und man merkt wahrscheinlich schon ohne konkretes Beispiel wieviel Denkarbeit mit dieser Art zu Handeln verbunden ist.
Was mir bei dem Ansatz von Augustin so große Freude bereitet, ist, dass er mich von den Zwängen der Vorschriften frei macht. Vorschriften können ein echtes Zwangskorsett sein und davon darf ich befreit sein und das Korsett in die Ecke werfen. Der Preis für die erlangte Freiheit ist dann aber auch recht hoch. Ich übernehme Verantwortung und muss über eine Unmenge von Dingen nachdenken.
Da die Beispielerzählungen von Jesus genial sind, greife ich eine leicht verändert auf. Handeln nach Regeln – korrekt aber ohne Liebe Oder: Liebe, die alle Regeln sprengt. Einer ist unter die Räuber gefallen. Liegt schwer verletzt am Rand im Gebüsch. Einer kommt vorbei, hat einen wichtigen Geschäftstermin im nächsten Ort. Da muss die Kleidung in Ordnung sein, sonst hat er keine Chance bei den Verhandlungen. Das sind die Vorschriften in der Geschäftswelt. Da kann man nichts machen. Wenn er jetzt ins Gestrüpp steigt und den Verletzten verbindet ist der gute Überwurf zerrissen und verdreckt. Die Regel verhindert die Liebe.
Dann kommt einer, der ist absolut unter Zeitdruck, nur wenn er strammen Schrittes durchgeht, kann er es noch pünktlich schaffen. In seinem Geschäft ist Pünktlichkeit das A und O. Ja, er hat den Verletzten gesehen und gehört. Vielleicht an einem anderen Tag, wenn er mehr Zeit hat. Heute nicht. Die Regel lässt nichts anderes zu.
Der Dritte hilft – aus lauter Liebe. Er muss zwar seine gesamten Planungen über Bord werfen und auch finanziell wirft ihn das ganz ordentlich aus der Bahn. Da der Überfallene nicht krankenversichert ist, muss er die Behandlungskosten bar auf den Tisch legen. Aber am nächsten Tag spürt er: das war richtig, was ich gemacht habe.
Alles, was ihr tut, lasst in Liebe geschehen.
Mir hilft es, wenn ich diesen paulinischen Satz mit der Brille von Augustin lese. Liebe, und tu, was du willst. Nun gut, bei der Auswahl von Brillen ist jeder und jede von uns natürlich völlig frei. Frei sind wir aber nicht in Bezug auf unsere eigene Haut, denn aus der können wir nicht heraus. Die Jahreslosung möchte jeden in seiner Haut ansprechen – und jedem Charakterkopf die Ermunterung zurufen alles in Liebe geschehen zu lassen. Jeder hört sie etwas anders. Bei jedem und jeder ergibt es ein anderes buntes Bild. Das ist wie bei einem Kaleidoskop. Ein wenig gedreht – und schon ergibt es wieder ein neues, buntes Bild.
Ich skizziere 3 Hörer in ihrer typischen Eigenart. Es werden dabei ganz unterschiedliche Bilder durch diesen Satz ausgelöst. Jede Überschneidung mit der Wirklichkeit ist rein zufällig.
Sie kennen ihn, den absolut rauen Typ, mit der harten Schale, der aber innen drin ganz weich ist. Ein Sammelbecken für diesen Schlag Mensch waren meine Bauklassen. Dort waren manchmal riesige Kerle vor mir, denen man die körperlichen Kräfte von Weitem ansah. Wenn sie bei mir von ihren körperlichen Auseinandersetzungen erzählt haben, wusste ich, dass man sie nicht übermäßig ärgern sollte. Auch die Sprache war meist relativ derb.
Wenn sie aber von der Freundin oder dann auch vom eigenen Kind sprachen, schwang oft ein ganz anderer Ton mit. Dann kam die weiche, liebevolle Seite zum Vorschein. Die Mutter meiner Kinder formuliert das gerne so: Wenn du bei diesen nach außen rau erscheinenden Menschen das Gefühl hast, dass du ihnen den eigenen Säugling zum Verwahren auf den Arm geben kannst, dann haben sie diesen guten Kern in sich, so rau sie auch nach außen erscheinen.
Alles, was ihr tut, lasst in Liebe geschehen.
Ja, sie halten ihr Kind liebevoll auf dem Arm. Wenn sie mit dem Auto drängeln, bedrängen und zu schnell fahren, dann wäre es gut, wenn der Liebesaufruf von Paulus sie erreichen würde. Wenn das Wort der Liebe sie bei den täglichen Rangeleien trifft, wäre es gut, wenn das Ohr und das Herz auf Empfang ist. Aber die Einsicht benötig oftmals noch einige Lebensjahre – oder die Erlebnisse von eigenen Unfällen, wo sie und andere Schaden genommen haben. Das Wort der Liebe wendet sich an die rauen Kerle mit dem weichen Kern.
Ich drehe und schüttele das Menschen-Kaleidoskop ein wenig. Jetzt ist ein Typus im Blick, der bei beiden Geschlechtern recht gleichmäßig auftauchen kann: der und die Griesgrämige. Dieser Mensch sieht mit Vorliebe das Schlechte im eigenen Umfeld und beschwert sich erbittert darüber. Das Glas ist halbleer, die Sonne ist zu warm, die Wolken zu dick, die Lebensmittel zu teuer, der Bus zu spät, die Nachbarin putzt nicht richtig und der Ehemann sagt das Falsche. Und ich bin immer so schlecht gelaunt.
Unter den älteren Menschen kommt dieser Typus häufiger vor. Aber auch Kinder habe ich schon mit dieser Tristesse erlebt – die können sich dann bis ins Alter zu exzellenten Griesgrampersönlichkeiten entwickeln.
Alles, was ihr tut, lasst in Liebe geschehen.
Lässt sich der Panzer der Schlechtseherei erweichen? Kann sich aus dem schwarzweiß-Bild dieser Menschen ein Farbbild entwickeln? Vielleicht lässt sich mit der Brille der Liebe die Wahrnehmung ändern. Den Mitmenschen würde es gut tun. Denn es kostet viel Kraft, sich nicht nicht runterziehen zu lassen in den gruseligen Negativkeller.
Und noch ein letztes Mal drehe ich unser Menschen-Kaleidoskop. Und ich erkenne den ständig hilfsbereiten Menschen mit all seinen bunten Facetten. Im ersten Moment denkt man: hey super, der setzt doch die Jahreslosung schon seit Jahren um. Ja, das ist einerseits völlig richtig. Und ich denke für mich, an deren Verhalten könntest du dir ne echte Scheibe abschneiden. Es kann aber passieren, dass diese Menschen das sog. Helfersyndrom entwickeln. Sie sind selbst nur glücklich, wenn sie anderen helfen können. Selber Hilfe annehmen, wenn es einmal dringend nötig ist, können sie nur schwer. Und sie helfen auch den Menschen, für die es wichtig wäre, ihre Aufgaben eigenständig zu lösen, damit diese selbstständig werden. Sie können andere mit ihrer ständigen Hilfe erdrücken. Hilfe zur Selbsthilfe ist ihnen äußerst fremd.
Alles, was ihr tut, lasst in Liebe geschehen.
Das Stichwort Liebe könnte hier bedeuten, helfe etwas weniger. Unterstütze andere, dass sie selbst aktiv werden. Lass anderen auch Luft zum Atmen, in dem du weniger hilfst. Jeder und jede steht woanders, wenn er diese Jahreslosung hört. Ich muss das Menschenkaleidoskop auf mich selbst scharfstellen. Es kann ein buntes Jahr für uns werden, wenn wir alles versuchen den richtigen Farbklecks beizutragen. Ich freue mich in diesem Jahr auf ein buntes, liebevolles Miteinander. Amen.