Erlöse uns!

Predigt von Veronika Kabis, 3.3.2024

über 1 Petrus 1, 18-21

Liebe Gemeinde,

„Erlöse uns von dem Bösen“, werden wir nach den Fürbitten im Vaterunser beten.

Erlöse uns! Das ist mein tägliches Stoßgebet, wenn ich durch die Nachrichten im Fernsehen zappe. Eine Katastrophe nach der nächsten: Ukraine, Israel und Gaza, Rechtsextremismus und Hass. Ein schaurige, hasserfüllte Gestalt nach der anderen: Putin, Trump, Orban, Björn Höcke, und wie sie alle heißen.

Kann uns denn nichts und niemand erlösen von dem Unheil, das uns auch hier immer näher auf die Pelle rückt? Eine Freundin wagt auszusprechen, was auch ich manchmal klammheimlich denke: Kann denn niemand diese Verrückten aus dem Weg räumen? Wegsperren oder gar … naja, Sie wissen schon? Tyrannenmorde gab es immer wieder in der Geschichte. Man beginnt zu ahnen, warum. Aber gut. Mit Gegengewalt wurden selten Probleme auf Dauer gelöst. Und überhaupt: Was würde Jesus dazu sagen…

Erlöse uns.

Gemeint ist zunächst sicher: Erlöse uns von Hass, Gewalt, Mord und Krieg. Wenn man in die Bibel schaut, in der sich die Geschichte der Menschheit in verdichteter Form fast wie ein Tagebuch liest – von Brudermord über blutige Schlachten bis zur Hinrichtung Jesu und Gewalt gegen seine Anhängerinnen und Anhänger -, versteht man, weshalb sich die Hoffnung auf Erlösung und Errettung wie ein roter Faden durch das Buch der Bücher zieht. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Gewalt, der Not, des Elends. Die ruhigen, alles in allem guten Zeiten, wie wir sie hierzulande in den letzten siebzig Jahren erlebt haben, sind darin die Ausnahme. Traurig genug.

Erlöse uns von dem Bösen. Ich fürchte, der Vers im Vaterunser meint noch mehr: Erlöse uns auch von dem Bösen, das in uns selbst verborgen ist. Von dem kleinen Teufel, der in mir wohnt und mir einflüstert, ich könnte ja mal versuchen, meine Kollegin und Konkurrentin auszustechen oder dem unsympathischen Nachbarn die Pest oder zumindest Corona an den Hals zu wünschen. Ja, das Böse ist nicht nur bei den anderen zu finden, niemand ist gefeit gegen die Einflüsterungen, die versuchen, uns vom geraden Weg abzubringen. Offenbar gelingt es nur manchen Menschen besser als anderen, das Böse in ihnen selbst im Zaum zu halten.

Von Erlösung ist auch die Rede im Predigttext für den heutigen Tag. Er steht im ersten Petrusbrief, Kapitel 1, Verse 18 bis 21:

Denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt war, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, sodass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Petrus findet klare Worte: Glaubt bloß nicht, dass es euch besser geht, wenn ihr Geld und Besitz anhäuft! Darin findet ihr keine Erlösung. Nein, wahre Erlösung findet ihr nur im Glauben.

„Geld allein macht nicht glücklich“, das sagt ja auch schon das Sprichwort. Immerhin schränkt der Volksmund ein: „Geld allein“. Also ein bisschen Streben nach Besitz ist schon okay. Petrus ist da radikaler. Jesus, das Lamm Gottes, hat durch seinen Tod den Preis der Erlösung bezahlt. Nur wenn ihr ihm folgt, seid ihr selbst erlöst und befreit.

Ich weiß nicht. Dieses Wort Erlösung ist so groß. Eines von vielen, die einem im Gottesdienst immer wieder begegnen: Gnade, Rechtfertigung, Barmherzigkeit, Erlösung. Alle führen sie im Munde. Aber ehrlich – was sagt mir das eigentlich noch?

Nach gängiger christlicher Lesart ist mit Erlösung und Errettung gemeint, dass Gott Leid und Tod überwindet. Gott wird sich mit seinem Plan durchsetzen: Alle Menschen werden irgendwann in Frieden leben, und es wird weder Leid noch Tod geben. Es heißt auch: Jesus hat stellvertretend für die Sünder Unglück und Tod auf sich genommen und sich geopfert. „Das teure Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes“, sagt Petrus.

Ich weiß nicht. Ich tue mich schwer damit. Man kann es mir noch so oft sagen, dass Jesus auch für mich gestorben ist, ich bekomme das nicht in meinen Kopf und erst recht nicht in mein Herz. Ich will nicht, dass sich jemand für mich opfert, ich fühle mich dadurch nicht erlöst oder gerettet. Ich verstehe auch nicht, wie die Welt dadurch zu einem besseren Ort werden soll.

Ich versuche, eine Spur zu finden, der ich folgen kann. Auch ich brauche Erlösung, das spüre ich: Erlösung von Ängsten angesichts des Zustands der Welt, Erlösung von negativen Gefühlen, von Rachsucht und Verhaltensmustern, die mir selbst und anderen nicht guttun. Wie aber kann mir mein Glaube dabei tatsächlich helfen?

Vielleicht ist es weniger das Sühneopfer, der Tod von Jesus, der uns erlöst. Vielleicht ist es vielmehr sein Leben, das erahnen lässt, was Erlösung ist. Sein Leben – über das das Apostolische Glaubensbekenntnis erstaunlicherweise kein Wort verliert – kann uns auf die richtige Spur bringen. Jesus ließ sich, trotz aller Gewalt, die ihm angetan wurde, nicht zur Gegengewalt verführen. Er ruhte so sehr in sich und in Gott, dass er sogar Gott um Vergebung für seine Feinde bitten konnte.

Für mich bedeutet Glaube, angeschlossen sein an Gott, in Resonanz sein mit ihm. Das kann auch mal ein Wackelkontakt sein. Jesus ist derjenige Mensch, der voll und ganz angeschlossen war an Gott. Er war eine Einheit mit ihm, und nichts konnte ihn von Gott trennen. Wer solchermaßen angebunden ist an Gott, braucht seine Feinde nicht mehr von sich abzusondern. Sicher, im Garten Gethsemane, am Abend vor seiner Hinrichtung, hat Jesus kurz gezweifelt, doch auch da hat er die Unsicherheit im nächsten Moment überwunden, indem er sich noch mehr zurückgebunden hat an Gott. Er hat eingewilligt in sein Schicksal: „Doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ Wo das gelingt, ist Erlösung zum Greifen nah: innere Freiheit, die dem Feind die Macht nimmt.

Ich öffne eine kleine Klammer: Von Erlösung sprechen auch viele Märchen: Oft ist es ein Prinz, der ein Mädchen erlöst (etwa bei Dornröschen oder Aschenputtel), oder die Schwester, die ihre Brüder erlöst (bei den „Sieben Raben“). Auch dahinter verbirgt sich die uralte Sehnsucht nach innerer und äußerer Freiheit. Manchmal regnet es obendrein noch Goldtaler, oft aber ziehen die Erlösten einfach fröhlich von dannen. Übersetzt ins wahre Leben sind diese Erlöser oder Retter vielleicht Menschen, die uns in einer schwierigen Situation im richtigen Moment begegnen und die uns einen Ausweg zeigen, vielleicht nur einen wertvollen Tipp geben oder uns in der Trauer wieder aufrichten. Erlösung, wenn wir feststecken und nicht weiterwissen, wenn das Herz eng und das Auge getrübt ist. Die Märchen sind eine wunderbare Schule des Lebens. Klammer zu. Zurück zu Jesus.

Was hat Jesus für uns getan? Worin besteht seine Erlösungstat? Er hat die Sinnlosigkeit von Vergeltung, von irrationalen Sündenbockmustern unterbrochen. Er ist ausgestiegen aus den Verhaltensmustern, die Menschen nur zu gut kennen: Rache, Siegen-Müssen, Machtdemonstration, Wegschauen, Selbstzerstörung und Selbstverurteilung. Stattdessen ging sein Weg in die ungespaltene, letztgültige Einheit mit Gott.

Erlösung geschehe aus „Sünde und dem Tod“. So formulieren alte Glaubenssätze. Ich glaube, wir verstehen den Kern von Erlösung besser, wenn wir fragen: Was ist Sünde? Und dann die Antwort nicht in Verstößen gegen die Moral suchen, sondern sagen: Sünde bedeutet Absonderung und Spaltung. Nicht mehr angeschlossen sein an Gott. Wenn ich Böses tue, wenn ich mich über andere erhebe, dann trennt mich das nicht nur von diesen anderen, sondern dann falle ich heraus aus dem großen Ganzen, dann spalte ich mich ab von Gott.

Dagegen setzt Jesus die Liebe. In seiner Person verkörpert Jesus Urvertrauen, er ist die Antwort auf das Böse und Abgespaltene. Wie er sich im Leiden verhält, zeigt eine Höchstform von Liebe und Hingabe. Selbst angesichts von Haft, Folter, Verurteilung und Kreuzestod war er in der Lage, die Liebe zu leben. Diese Liebe machte Jesus innerlich frei.

Die Erlösung, von der unser Glaube spricht, bedeutet ganz konkret: Auflösung von negativen Mustern und Prägungen, die wir Menschen mit uns herumschleppen. Prägungen sind wie Fehlanbahnungen im Gehirn. Jesus hat sie mit seinem Verhalten gesprengt. Wenn ich seinem Verhalten folge, gelingt es mir vielleicht, in mir selbst neue Muster anzubahnen. Jesus hat eine neue Spur gelegt. Es kommt darauf an, dieser Spur in der eigenen Seele zu trauen und ihr zu folgen.

Erlösung ereignet sich, wenn ich konkrete Schritte gehe, die mich zu Gott zurückführen. Beispiele dafür hat Jesus durch sein Vorbild, durch Gleichnisse und Taten genug geliefert. Er hat Menschen gerettet, indem er auf Ausgegrenzte zugegangen ist und auf Menschen, die Schuld auf sich geladen haben. Er hat ihnen die Vergebung Gottes zugesprochen. Er hat diejenigen getröstet, die traurig waren. Seine Botschaft war das Reich Gottes, in dem das, was er im Kleinen tat, im Großen Wirklichkeit werden kann. Nicht indem wir nur fromm beten, sondern indem wir im Sinne von Jesus handeln, begeben wir uns auf die Spur der Erlösung.

Für Dietrich Bonhoeffer war Jesus „ein Erlöser, der nicht den Königsweg, sondern den unteren Weg des Heils gewählt hat. Er (war) ein Heiland, der die heiligen Ordnungen durcheinanderbringt und der, höchst ungöttlich und unansehnlich, sich auch mit den Parias der Religion und Gesellschaft abgibt.“ Der „untere Weg des Heils“: kein König hoch zu Ross, sondern einer, der zu Fuß kommt und Menschen heilt.

Den letzten, endgültigen Schritt der Erlösung gehen wir, davon bin ich überzeugt, wenn wir sterben. Im Sterben, in diesem Hinübergehen, werden wir in einem Prozess der Wandlung hineingezogen in die endgültige Erlösung. Die Sterbeforscherin und Theologin Monika Renz sagt, dass der Sterbeprozess – ähnlich wie die Geburt – zwar einen seelischen und mitunter auch körperlichen Durchgangsschmerz bereitet. Doch nach dem Durchgang erleben Sterbende, so ihre Beobachtung in jahrelanger Forschung, etwas wie ein umfassendes Glücklich-Sein. Das zu wissen, ermutigt mich. Erlösung wird hier ganz greifbar. Es ist doch eine tröstliche Aussicht, dass wir am Ende, im Sterben jene innere Freiheit erlangen können, die alle Fesseln löst und uns durch und durch mit Gott verbindet.

Bis dahin können wir versuchen, auch im Leben so viel wie möglich an der Erlösung zu arbeiten: der Erlösung vom Bösen, das um uns herum geschieht, und an der Erlösung von dem, was uns selbst unfrei macht.

Manchmal genügt schon ein erlösendes Lachen, um eine verfahrene Gesprächssituation oder einen Moment der Traurigkeit aufzulösen. Man muss nicht immer die ganze Welt erlösen, auch in kleinen Schritten zur Erlösung geht es voran. Mit Gott an der Seite geht das allemal einfacher. Das wusste auch Hanns-Dieter Hüsch, der diese Erkenntnis in seiner wunderbaren Übertragung von Psalm 126 auf den Punkt gebracht hat. Mit diesen Zeilen möchte ich enden:

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin
im meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.

Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.