Dämonisch

Pfarrer i.R. Stephan Hüls will’s wissen: Gibt’s die eigentlich – Dämonen? Dafür hat er sich ins Markus-Evangelium vertieft und Markus 5 neu gelesen. Zu welchen Erkenntnissen er dabei gekommen ist, hat er im Gottesdienst am 13. Oktober 2024 verraten. Seine Predigt kann man hier nachlesen.

Predigt zu Markus 5, 1-20

Gibt es eigentlich Geister und Dämonen?

In vielen meiner Schulklassen wurde diese Fragestellung aufge­worfen. Und die Vorstellungen drifteten weit auseinander. Oftmals wurden die Meinungen klar naturwissenschaftlich begründet und sie sagten: Ich glaube nur an das, was ich sehe. Es gibt keine Geister, das ist alles nur Einbildung. Dem ist mit unserem naturwissenschaftlich Weltbild, das unsere Gedanken prägt, klar zuzustimmen.

Nicht wenige sagten aber auch, ich habe schon so manches erlebt, das ich mir nicht erklären kann, wo ich gespürt habe, da ist irgendeine Macht präsent, die auf mich und für mich wirkt. Diese Erlebnisse wurden oftmals so real und bewegend erzählt, dass man auch das als wirkliche Vorstellung akzeptieren und respektieren musste.  Von Einbildung war das weit entfernt. Auch als Christen glauben wir an Gott, der nicht wirklich sichtbar ist, nicht beweisbar und doch für uns real – wohltuend real. Aber gibt es auch Geister und Dämonen, die nicht wohltuend sind?

Oftmals versucht man heute, mit medizinischer Ferndiagnose an die biblischen Texte heranzugehen. Man vermutet z.B. Epilepsie bei Menschen, die mit Zuckungen beschrieben werden und während eines Anfalls wie auf den Boden geworfen werden.

So habe ich die Texte oftmals versucht zu verstehen, aber es bleibt für mich ein Fragezeichen. Manche in der Katholischen Kirche (und nicht nur dort) bejahen die Existenz von Dämonen, sehen sie sogar in einem existenziellen Kampf mit Gott. Und es gibt in der katholischen Kirche extra ausgebildete Priester, die mit Gottes Hilfe für klare und gereinigte Verhältnisse sorgen sollen. Entsprechende Verfilmungen sorgen dafür, dass sich diese Bilder von Austreibungen böser Geister in unseren Köpfen verfestigen und den Anschein von Wirklichkeit erzeugen. Die mittelalterliche Hexenverfolgung winkt von ferne und erfährt eine Neuauflage.

Der markinische Text vom Gerasener, der in den Grabhöhlen haust wird dabei gerne für die Begründung dieser Austreibungspraxis herangezogen. Wagen wir einen gemeinsamen Blick auf diesen Abschnitt Markus 5, 1- 13/20 Übersetzung größtenteils von Sutter Rehmann.

1 Und sie kamen zum Ufer des Meeres in das Gebiet der Gera­sener/innen 2 Als er aus dem Boot stieg, begegnete ihm sogleich aus den Grabhöhlen ein Mensch in unreinem Geisteszustand,

3 der in den Grabstätten wohnte. Niemand konnte ihn binden, auch nicht mit einer Kette; 4 denn er war oft mit Fesseln an den Füßen und mit Ketten gebunden gewesen und hatte die Ketten zerrissen und die Fesseln zerrieben; und  niemand war stark genug, ihn zu bändigen. 5 Und in jeder Nacht und an jedem Tag war er in den Grabhöhlen und auf den Bergen und er schrie und schlug mit Steinen auf sich. 6 Und als er Jesus von Weitem sah, lief er und warf sich vor ihm auf den Boden. 7 Mit lauter Stimme und klagend rief er: Was ist zwischen mir und dir, Jesus, Sohn des Höchsten? Ich lasse dich schwören, dass du mich nicht quälen wirst. 8 Er sagte nämlich zu ihm: Der unreine Geist gehe von diesem Menschen weg. 9 Da fragte er ihn: Was ist dein Name? Worauf er ihm sagte: Mein Name ist Legion, denn wir sind viele. 10 und er bat ihn sehr, dass er sie (auta) nicht aus dem Land weggehen heiße.

11 In der Nähe des Gebirges war eine große Schweineherde am weiden. 12 Auch baten sie ihn: Schicke uns zu den Schweinen, dann gehen wir zu ihnen. 13 Und er befahl ihnen dies. Und die unreinen Geister, herausgehend, gingen zu den Schweinen und die Herde stürmte den Hang hinunter in Richtung Meer, wie zweitausend Mann, und löste sich im Meer auf.  14 Und ihre Hirten flohen und meldeten es in der Stadt und in den Gehöften. Und sie kamen, um zu sehen, was geschehen war. 15 Und sie kamen zu Jesus. Und sie sahen den Dämonisierten dasitzen, bekleidet und klar bei Sinnen, den, der die Legion in sich hatte. Und sie fürchteten sich. 16 Und die es gesehen hatten, erzählten ihnen, wie es dem Dämonisierten ergangen war und den Schweinen. 17 Und sie begannen, ihn zu bitten, aus ihrer Gegend wegzugehen. 18 Und als er in das Boot stieg, bat ihn der, der dämonisiert gewesen war, er möchte mit ihm gehen.  19 Und er gestattete es ihm nicht, sondern er sprach zu ihm: Geh in dein Haus zu den Deinen und melde ihnen, was der Herr Großes an dir getan und welche Barmherzigkeit er dir erwiesen hat.  20 Und er ging fort und begann in der Dekapolis zu verkünden, was Jesus Großes an ihm getan hatte. Und alle waren voll Staunen.

In diesem Text ist von einem dämonisierten Menschen die Rede, einem der in seinem Geist verunreinigt ist. Ich bringe in Erinnerung, wie wir damit gedanklich versuchen umzugehen:

  • Ablehnung, weil naturwissenschaftlicher Humbug
  • Akzeptanz, weil man selbst spirituelle Erfahrungen kennt
  • Einordnung der Phänomene in einen medizinischen Kontext

Durch eine neue Veröffentlichung von Luzia Sutter Rehmann, Theolo­gie­professorin in Basel, habe ich noch einen weiteren Blick­winkel bekommen. Daher beginne ich mit der damaligen geschichtlichen Situation, weil mir deutlich wurde, dass die Historie einen (neuen) Schlüssel für das Verständnis bieten kann. Das Markusevanglieum ist ca. um 70 n.Chr. fertiggestellt worden. Es beschreibt Ereignisse aus dem Leben Jesu im Rückblick – also ca. gut 40 Jahre zurückliegend. Der Verfasser und seine ersten Leserinnen haben aber auch die brand-aktuelle Situation der schrecklichen Kriegsereignisse um 70 n.Chr. in ihrem Kopf.

Das Land war schon viele Jahre unter römischer Herrschaft. Das ist ja auch durch die Geburts- und Kreuzigungsgeschichte Jesu sehr klar vor Augen. Und bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Mk hatte diese römische Besatzung noch weitere Repressalien entwickelt. Die Römer hatten ein ausgeklügeltes Ausbeutungssystem, so dass der allergrößte Teil der jüdischen Bevölkerung völlig verarmt war. D.h., dass man nicht nur hungerte, sondern dass man sogar Familien­mitglieder in die Sklaverei verkaufen musste, um aufge­zwungene Kredite bedienen zu können. Wenn das Elend groß ist, wächst der Widerstand. Es kam zum jüdischen Aufstand, der in den Jahren 68-70 n.Chr. brutalst von den römischen Legionen niedergeschlagen wurde. Es gab ein unvorstell­bares Gemetzel unter der Bevölkerung. Die sexualisierte Gewalt inbegriffen. Die plastischen Schilderungen davon beim Geschichts­schreiber Josephus sind erschreckend grausam. Die Stadt Gerasa ist hierbei auch erwähnt. Was die Römer hier getan haben, sind klare Kriegsverbrechen.

Die Gräber, die Grabhöhlen, wo der Mensch aus Gerasa haust, könnten sehr real die jüngsten Massaker in diesem Ort wider­spiegeln. Hier ist wahrscheinlich ein stark traumatisierter Mensch vor uns, der die Bilder des Abschlachtens von vielen Menschen in seinem Kopf hat. Der jetzt dort haust, wo die menschlichen Überreste der Bewoh­ner von Gerasa ihre letzte Ruhe finden sollen. Vielleicht ist er der letzte Überlebende seiner Familie. Nein, ich kann und will mir das eigentlich nicht vorstellen.

Wer (alt)orientalische Trauerriten kennt – oder zumindest von ihnen gehört hat – kommt diesem Menschen auf dem Gräberfeld wahr­scheinlich schon ein wenig näher. Hat mehr Verständnis für das beschriebene Verhalten. Selbstverletzung mit Steinen, lautes Schreien kann ich dann besser einordnen. Das kann zum Verhalten Trauender im Orient dazu gehören.

Markus schreibt: Dieser Mensch ist unreinen Geistes. Kann das nicht auch eine Beschreibung dafür sein, dass dieser Mensch die Bilder des Abschlachtens, die blutüberströmten Gestal­ten und die Vergewaltigungsopfer nicht aus dem Kopf bekommt? Denkt er an das Sterben seiner Lieben? Da ist kein klarer Gedanke mehr in ihm. Alles dreht sich in ihm um die schrecklichen Ereignisse. Und dieser Ort ist geprägt von diesen Gräueln. Hier an diesem Ort manifestiert sich seine Traumatisierung – seine seelische Verletzung. Wenn es im Text heißt: ‚Er hat einen unreinen Geist‘ beschreibt das vielleicht die Wirrnis seiner Erinnerungen und Gedanken. Eine solche Traumatisierung lässt mich diesen Menschen besser verstehen als die Vorstellung eines ihn beherr­schenden Dämonen.

Die verschiedenen Versuche der Fesselung dieses Menschen werfen natürlich Fragen auf. Vielleicht hat er immer wieder die Gräueltaten der Römer zur Sprache gebracht. Hat die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hat die Korruption der Römer immer wieder benannt. Und die Menschen in Gerasa konnten es nicht mehr ertragen. Sie wussten, dass er Recht hat, aber sie wollten, dass Gras über die Sache wächst. Sie haben versucht, ihm das Maul zu stopfen. Wie das funktioniert, können wir in der jüngsten Geschichte an dem Oppositionellen Nawalny erkennen, dem die Machthaber immer wieder versucht haben, Fesseln anzulegen und das Maul zu stopfen. Erst in der hintersten Ecke Sibiriens ist es ihnen dann gelungen. Jegliche Form der Fesselung konnte diesen Menschen auf den Gräbern von Gerasa nicht zum Schweigen bringen.

Als der unreine Geist nach seinem Namen gefragt wird, sagt dieser: Legion, denn wir sind viele – und ich füge hinzu – die getötet worden sind. Hier könnte eine Anspielung auf die römischen Legionen angedeutet sein, die Gerasa und das gesamte Umfeld verwüstet haben, so dass nur noch verbrannte Erde übriggeblieben ist. Viele Soldaten haben sehr viele Menschen niedergemetzelt. Mit dieser Anspielung beginne ich diesen Menschen besser zu verstehen.

Die Schweine in der Nähe der Gräber werden diesen Menschen zutiefst beunruhigen. Schweine wühlen und graben. Sie sind Allesfresser. Sie drehen den Erdboden auf links, bis sie Fressbares finden. Und sie stören damit auf einem Gräberfeld die Totenruhe. Solange die Schweine hier wühlen, kommen die Toten und ihre Angehörigen nicht zur Ruhe.

Dass diese Schweine die Unruhegeister in sich aufnehmen, damit den Berg hinabrennen und im Meer verschwinden, hat neben einem geogra­phischen auch einen biologischen Haken. Von Gerasa ist der See Genezareth, der umgangssprachlich als Meer bezeichnet wird, ca. 50 km entfernt. Eine solche Entfernung können Schweine auch im Galopp nicht mal eben überwinden. Und zudem lieben Schweine Wasser und sind gute Schwimmer. Es fällt mir schwer, die Schweine als Vehikel für eine Unzahl von Dämonen zu verstehen, die dann alle miteinander im Wasser ertrinken.

Zur Befriedung des Menschen würde es reichen, dass die Schweine den Ort der Gräber verlassen. Dann stören sie die Totenruhe nicht mehr. Die aufgewühlte Seele dieses Menschen könnte sich beruhigen.

Die Beachtung der historischen Kriegssituation, die klaffende Wunden geschlagen hat, öffnen mir die Augen für eine neue Wahrnehmung dieses Textes. Was ich erkenne ist, dass hier eine Begegnung zwischen Jesus und einem Menschen stattfindet, der an einer Kriegs­gräberstätte ausharrt. Und dieser Kontakt bringt eine positive Veränderung für diesen Menschen. Ich sehe, dass durch die Begegnung mit Jesus ein Traumatisierter innerlich wieder etwas zur Ruhe kommen kann, dass ihm der Schritt in sein soziales Umfeld wieder gelingt. Und ich sehe, dass Gott es ist, der hier eingreift. Und befreit wird nicht nur der eine Mensch, auch der Ort wird von einem auf ihm lastenden Schatten des Kriegsverbrechens erleichtert.

Neben allem Rätselhaften, was dieser Geschichte anhaftet, nehme ich für mich mit:

  • Geschehene Kriegsverbrechen müssen beim Namen genannt werden und öffentlich gemacht werden.
  • Traumatisierte Menschen müssen gehört und therapiert werden. Sie müssen wahr und ernst genommen werden (und nicht verteufelt werden).
  • An Orten, wo Gewaltverbrechen stattgefunden haben, klebt förmlich das Blut und Elend. Es gehört viel Phantasie dazu, trauma­tisierte Menschen davon zu lösen und neue Perspektiven für sie zu entwickeln.

Mir fällt es schwer der mittelalterlichen Vorstellung von Dämonen Raum zu geben, die die Herrschaft über unschuldige Menschen gewinnen wollen, in dem sie in diese fahren. Ich nehme aber wahr, dass Gott die Augen vor Kriegs-Elend nicht verschließt, dass auch ihm das Herz blutet, dass er aber auch in allem Elend erkennbar bleibt, auch für Traumatisierte. Dann sind Schritte der Heilung für die Seele möglich. Manchmal grenzt das an ein Wunder, bei dem Gott nicht unbeteiligt ist. So verstanden beginnt diese Geschichte zu mir zu sprechen.

Möge Gott auch heute so an Menschen wirken. Gebe er uns Mut, dass wir uns von ihm gebrauchen lassen, um dieses Ziel des Heils und Friedens zu gestalten. Amen.

Literaturtipp: Luzia Sutter Rehmann, Dämonen und unreine Geister (2023)