Vierter Advent
Von der Hoffnung
Maria in Hoffnung: Welche Hoffnungen verbindet sie mit dem Kind – menschlich und weltverändernd? Und wie wird ihre Hoffnung zu meiner Hoffnung – einer Hoffnung, die mir Kraft gibt und verändernd wirkt? Darüber hat Pfarrer i.R. Stephan Hüls am 22. Dezember 2024 in Schafbrücke gepredigt.
Predigt zum 4. Advent 2024 Schafbrücke – Textgrundlage Ps 71,5 und Römer 8, 24f
Der errechnete oder besser gesagt der damals geschätzte Entbindungstermin rückte immer näher. Der Start war so verwirrend für sie gewesen. Dieser Engel. Diese überraschende Nachricht, dass sie schwanger sei oder noch würde. Das hatte sie förmlich überfallen. Mit aller Macht. Sie hatte versucht, sich innerlich darauf einzustellen. Sie hatte dann ihrerseits mit Engelszungen versucht, die Sache Joseph beizubiegen. Ob er die Sache mit dem Heiligen Geist glaubte oder ob er sie einfach trotzdem so gernhatte, war ihr nicht klar. Schön war, dass er sie nicht zum Teufel geschickt hatte.
Sie war guter Hoffnung – zusammen mit Joseph. Und mittlerweile freuten sie sich wirklich gemeinsam auf dieses Kind. Hoffnung – das ist eine tolle Beschreibung für das, was man fühlt, wenn der Bauch immer dicker wird. Und wenn man spürt, wie da drinnen ein Kind heranwächst. Ja, diese Hoffnung hatte sie die letzten Wochen und Monate begleitet – und die war lebenswichtig, um durch diese Wirren hindurch zu kommen. Als sich ihr Körper hormonell umstellte und sie spürte, dass da in ihr etwas ganz Neues, neues Leben entstand, da keimte diese Hoffnung in ihr auf. Und diese Hoffnung wurde immer stabiler und größer. Diese Hoffnung brauchte sie als Kraft und als Lebensimpuls, als sie die Gespräche mit Joseph hatte. Joseph sagte: ‚Nein, das ist sicher. Dieses Kind ist nicht von mir. Maria, warst du umtriebig? Sagst du mir die Wahrheit? Willst du nicht lieber mit dem anderen deinen Weg gehen?‘ Und sie hatte geantwortet: ‚Da ist kein anderer. Ich verstehe auch nicht, was mir geschehen ist.‘ Sie hatten es dann irgendwie geschafft, diese Situation und vor allem das Kind auf Hoffnung hin anzunehmen. Und dann war es für sie eigentlich wie für alle werdenden Eltern. Das Kind unter Deck will in Hoffnung liebend angenommen sein.
Wie wird dieses Kind sein?
Welche Fähigkeiten und Gaben wird es haben?
Wird es in der Welt zurechtkommen?
Wird es die Welt gestalten?
Wird es gegen das Unrecht kämpfen, unter dem so viele aktuell leiden?
Wird es die Armen aufrichten können?
Wird es die Despoten vom Thron stoßen?
Maria und Joseph blickten liebend und voller Hoffnung nach vorne. Ein geliebtes Kind hat die Chance, sich gut zu entwickeln, Vertrauen in sich zu spüren und die Welt zum Guten zu verändern. Kurz: Maria und Joseph verband die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein Kind, das Menschen miteinander versöhnen würde.
Aber dann war da anfangs diese Übelkeit. Das zieht einen nicht nur körperlich runter, das greift auch die Seele an. Nur durch diese lebendige Hoffnung in ihr schaffte sie es, diese üblen Angriffe auszuhalten. Übelkeit und seelische Schwankungen hatten ihr viele Wochen das Leben zur Hölle gemacht.
Die Hoffnung zündet ein kleines Licht am Ende des Tunnels an.
Die Hoffnung trägt einen durch das seelische Tal.
Die Hoffnung weckt Kräfte, wo keine mehr sind.
Und dann erlebte die junge entstehende Familie die Schikane der römischen Besatzer. Die Willkür, die sie von den Oberen erfuhren, war so zermürbend. Sie pressten nicht nur Geld aus ihnen heraus, sie zerstörten die Lebensgrundlagen und bedrohten auch an allen Ecken das nackte Leben. Da war es so gut, wenn man noch Hoffnung in sich trug, die noch nicht erstickt worden war. Und mit diesem Kind, was da heranwuchs, bekam diese Hoffnung auch eine Richtung.
Vielleicht konnte dieses Kind einmal so groß und stark werden, dass es diese Welt verändern konnte. Diese Hoffnung durfte man einfach nicht aufgeben: Vielleicht würde er einmal die Mächtigen vom Thron stoßen. Vielleicht würden durch ihn, die Armen und Entrechteten einmal aus dem Staub erhoben werden, und ein Auskommen und ihr Recht erhalten. Es klang Maria wie Musik in den Ohren, wenn sie an diese hoffnungsvollen Möglichkeiten dachte.
Sie war guter Hoffnung. Und Hoffnung brauchte man wirklich immer, wenn man einem Kind das Leben schenkte. Was konnte nicht alles passieren? Ein Kind war anfangs so hilflos. Es musste gefüttert und ernährt werden. Es musste gewärmt werden, dass es nicht erfror. Und es lauerten tausend Gefahren, die das Kind bedrohten. Despoten, die sich durch Kinder bedroht fühlten, werden zu Mördern. Menschen mit Machtphantasien, die Kinder missbrauchten. Sexuell, militärisch als Kindersoldaten, als billige Arbeitskräfte, als Spielball der eigenen Willkür. Kinder können nur mit Hoffnung geboren werden und nur mit Hoffnung aufwachsen. Und ohne Hoffnung entsteht kein Leben und keine positive Veränderung.
Wir sind gerettet, aber noch ist alles Hoffnung. Eine Hoffnung, die sich schon sichtbar erfüllt hat, ist keine Hoffnung. Ich kann nicht erhoffen, was ich vor Augen habe. Wenn wir aber auf etwas hoffen, das wir noch nicht sehen können, dann heißt das, dass wir beharrlich danach Ausschau halten.
Römer 8, 24.25
Maria ist schwanger mit Jesus, sie ist in Hoffnung. Frauen sind schwanger oder nicht – ein bisschen schwanger geht nicht. Männer sind eindeutig nicht schwanger – aber ich kann schwanger gehen mit der Hoffnung die der Lebendige in mir weckt. Letzteres gilt für Männer und Frauen. Ich spüre den Auferstandenen als lebendigen Gott in mir. Er ist meine lebendige Hoffnung. Ich bin in Hoffnung. Dazu drei Beobachtungen, die mein theologischer Arzt durch Ultraschall in mir entdeckt:
Hoffnung, die in mir wächst und nach außen wirkt
Die Tage reihen sich aneinander und ich spüre die wachsende Hoffnung in mir. Bei etlichen Männern meines Alters entdeckt man rein äußerlich einiges, was zunimmt – äußerlich an Schwangerschaft erinnernd. Diese Hoffnung, die ich in mir spüre, wächst nur innerlich. Sie füllt mich von innen her zunehmend aus. Anfangs war ich über den Keim der Hoffnung in mir so überrascht, dass ich diesen Hoffnungsfunken nicht für real hielt. Vielleicht vergleichbar mit Maria, die es nicht für möglich hielt, nicht für real, dass ein Kind in ihr entstand – zum Leben erweckt worden war.
Diese kleine Pflanzung der Hoffnung in mir wächst und trägt überraschende Wirkung nach außen. Die außen sichtbar werdenden Früchte sind nicht meine Leistung, sie sind ein Geschenk des Himmels. Ich habe schon ganz oft erlebt, wie mich mein Chef – das ist immer wieder mal eine liebevolle Bezeichnung von mir für Gott – also wie mein Chef mich zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort stellt. Dann schenkt er mir die passenden Worte für Menschen, die dort sind. Er lässt mich genau das Richtige tun, dass jemand anderem geholfen ist. Er lässt mich dort, wo ich bin, die Atmosphäre positiv beeinflussen, so dass er selbst für andere spürbar wird. Er schenkt mir selbst Hilfe, wo ich sie brauche. Ja, O.K., manchmal spucke ich auch die falschen Worte aus und mache echte Fehler. Oder bin ein Kotzbrocken. Aber da, wo Gutes gelingt und Wohltuendes entsteht, erlebe ich es so, dass ER die Finger im Spiel hat. Und das passiert so oft, dass meine Hoffnung auf sein Wirken und Eingreifen zunehmend wächst.
Hoffnung, die mir Leben schenkt
Maria schenkt in Hoffnung Jesus das Leben. Mir schenkt der lebendige Auferstandene von innen heraus pulsierendes Leben. Ich kann das nicht erklären. Ich kann das nicht beweisen. Aber ich spüre IHN als lebendige Hoffnung in mir. Nicht jeden Tag gleich – aber doch irgendwie kontinuierlich. Und das schenkt mir die Gewissheit, dass er bei mir ist. Dass ich zu ihm gehören darf. Dass ich ein Teil von ihm sein kann. Wie der Atem, der mich durchströmt. Wie eine Wärmequelle in mir. Und ich vertraue darauf, dass diese lebenspendende Hoffnung nicht in mir erlischt. Sie schenkt mir hier schon ein ganz besonderes Leben – und ich gehe davon aus, dass diese lebendige Hoffnung über mein irdisches Leben hinaus mich tragen und begleiten wird.
Hoffnung, die mir Mut macht, Pflanzen der Liebe zu setzen und Gewächse des Unrechtes kleiner zu machen
Wenn man diese wohltuende, befreiende und lebendige Hoffnung in sich spürt, dann wünscht man, dass dieses Wohltuende auch um einen herum Gestalt annimmt. Man möchte diesen hoffnungsvollen Funken überspringen lassen auf Welt und Menschen.
Es entsteht ein feines Gespür für Unrecht – und man sucht Wege, wie man dieses Unrecht verwandeln oder gar aus der Welt kriegt.
Manchmal verändert sich schon etwas, wenn man nicht schweigt, sondern Ungerechtigkeiten benennt. Wenn ein Lehrer eine Mitschülerin ungerecht behandelt. Wenn er anzüglich ist, wenn er eine Grenze überschreitet und das bei Schutzbefohlenen. Wenn man Menschen, die immer nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben, die Stirn bietet und deren Verhalten spiegelt. Wenn man Unrecht Unrecht nennt. Wenn man Krieg Krieg nennt. Daneben ist es wichtig die Menschen, denen die Hoffnung schwindet zu trösten und ihnen ein Licht der Hoffnung zu schenken. Mit einem Mut machenden Wort. Mit einer Idee. Mit gemeinsamen Aushalten in der Traurigkeit.
Möge diese Hoffnung in uns allen geweckt sein oder werden.
Möge sie in uns wachsen und uns stark machen.
Möge die lebendige Hoffnung alle durchfluten.
Dann wird die Welt für alle einen Hauch von Paradies bekommen.
Amen.