Predigt zum Filmgottesdienst „In between“
Bundesfestival Junger Film
Zum zweiten Mal war das Bundesfestival Junger Film aus St. Ingbert zu Gast am Lorenzberg. Im Filmgottesdienst am 1. Juni um 11 Uhr wurde der Kurzfilm „In between“ gezeigt. Die Konfis 2025 haben sich den Film im Vorfeld angeschaut und sich darüber Gedanken macht. Marianna Raffele vom Festivalbüro stand Rede und Antwort. Die kurze Predigt von Veronika Kabis kann man hier nachlesen.
Über den Film
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hält seit über einem Jahr an. Die 21-jährige Ira findet sich mit ihrer Mutter in einem fremden Deutschland wieder, abgeschnitten von Heimat, Familie und Freunden, auf der Suche nach Halt. Nach vielen Zweifeln fasst sie den Entschluss, ihrer vernachlässigten Leidenschaft für das Schwimmen neues Leben einzuhauchen. Dabei trifft sie auf eine alte Bekannte, mit der sie sich erstmals über ihre Sorgen und Gedanken austauscht. „In Between“ erforscht die Gefühle und den emotionalen Zustand von Geflüchteten und gewährt dabei einen intimen Einblick in deren Leben.
Liebe Gemeinde,
mich hat der Film zurückgeführt in die Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Ich habe viele Menschen, vor allem Frauen und Kinder, hier in Saarbrücken ankommen sehen. Wochenlang gab es jeden Sonntag eine Kundgebung vor dem Staatstheater, die die ukrainische Community in Saarbrücken organisiert hat. Diese Kundgebungen waren auch Anlaufstelle für diejenigen Geflüchteten, die in der zurückliegenden Woche neu angekommen waren. Eine erste Orientierung inmitten all der Hoffnungslosigkeit und Verlorenheit. Ich habe gesehen, wie wichtig das war: die ermutigenden Reden, das Singen der ukrainischen Nationalhymne, die Kontaktaufnahmen untereinander, der Austausch an Informationen. Es waren Momente des Trostes und der Solidarität.
Vor ein paar Monaten habe ich an einem Treffen der Konfirmandinnen und Konfirmanden teilgenommen. Wir haben Gespräche zwischen den Generationen geführt. Dieses Treffen hat mich noch längere Zeit beschäftigt. Zum einen, weil ich wahrgenommen habe, was für tolle junge Leute hier zusammen sind. Wie reif und nachdenklich ihr seid. Zum anderen, weil ihr auf die Frage, wovor ihr am meisten Angst habt, ganz überwiegend geantwortet hat: vor einem möglichen Krieg.
Ich habe mich daran erinnert, wie ich selbst mit 14 oder 15 Jahren zum ersten Mal einen Film über die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki gesehen und wie ängstlich ich die Diskussionen über die Gefahren eines Atomkriegs verfolgt habe. Das hat mich sehr geprägt. Ich kann euch gut verstehen.
In der Bibel ist oft die Rede vom Krieg. In den dreitausend Jahren, die seit ihrer Entstehung vergangen sind, haben unzählige Kriege auf der ganzen Welt stattgefunden. Krieg und Gewalt, sie scheinen im Menschen tief verwurzelt zu sein. Die Bibel erzählt aber auch davon, dass Religion im Kern der Versuch ist, Krieg und Gewalt zu überwinden, ihnen etwas Positives entgegenzusetzen: etwa durch den Aufruf, Gott und den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Man wird entgegenhalten können, dass Religion oft genug auch selbst Anlass und Auslöser für Kriege war. Das stimmt, und das passiert vor allem dann, wenn jeder seine eigene Religion für die einzige Wahre hält. Aber das macht das andere nicht weniger richtig: Die Bibel dokumentiert das verzweifelte Ringen der Menschen, die Gewalt einzuhegen. In der Person von Jesus wird das sicher am deutlichsten: Er hat jeglicher Gewalt abgeschworen und inmitten der Gewalt an Frieden und Liebe festgehalten.
Die zwei Mädchen im Film, die haben auch Angst. Sie haben zweifellos ganz konkrete Furcht angesichts der Bomben über ihrer Heimat und auf ihrer Flucht erlebt. Jetzt haben sie Angst um die Menschen, die sie in der Ukraine zurückgelassen haben. Sie haben Angst um ihr Hab und Gut. Angst um ihre Zukunft. Angst vor dem Leben in Deutschland. Vielleicht auch Angst vor der deutschen Sprache, die so schwer zu lernen ist. Es ist eine Angst, die lähmt.
Was hilft ihnen gegen die Angst? Ira gelingt es irgendwann, ihre innere Kraft wiederzufinden. Sie spürt, dass es ihr hilft, wenn sie an etwas andockt, was sie schon früher gut konnte. Das ist in ihrem Fall das Schwimmen. Das Schwimmen ist ihre Kraftquelle, ihre Ressource. Als sie zum ersten Mal wieder eintaucht ins Wasser, spürt sie auf einmal wieder, wie sie verbunden ist mit sich selbst und mit allem, was sie umgibt. Das Wasser belebt und erfrischt nicht nur, es nimmt alles Schwere von ihr weg, und es erlaubt ihr, für eine kurze Zeit zumindest, in eine andere, friedliche und schöne Welt einzutauchen. Was für eine Kraft!
Und eine zweite Kraftquelle fliegt ihr an diesem Tag zu, es grenzt fast an ein Wunder: Sie trifft eine Freundin wieder, eine Mitschwimmerin aus ihrer Heimatstadt. Plötzlich ist sie nicht mehr allein mit ihrer Angst. Jetzt kann sie auch mit einer Freundin sprechen und nicht mehr nur mit ihrer Mutter, die ja ihre eigenen Sorgen hat. Was also hilft gegen die Angst? Das Anknüpfen an innere und äußere Kraftquellen, die bei jedem Menschen anders sind, die aber jeder Mensch irgendwo hat; und das In-Beziehung-Sein, die Verbundenheit mit anderen Menschen.
Ich schaue auf den Bibeltext. Da sagt der Apostel Paulus zur Gemeinde von Ephesus, übersetzt in meine Worte: „Ich bete zu Gott, dass er euch innerlich stärkt. Und dass er euch mit Liebe und mit seiner Geistkraft ausfüllt bis in den letzten Winkel.“ Diese Geistkraft können wir nicht sehen, aber manchmal spüren. Immer dann, wenn uns in Momenten der Angst von irgendwoher Hoffnung zufliegt. Wenn uns ein Mensch begegnet, der uns aus der Tiefe zieht und uns den nächsten Schritt zeigt. Wenn wir uns in der Natur, vielleicht auf einem Berg, in einem Wald oder aber im Wasser, auf einmal nicht mehr getrennt von allem, sondern verbunden mit allem fühlen. Die Geistkraft, andere sagen „der heilige Geist“, ist die Kraft Gottes, die in der Welt und im Menschen gegenwärtig ist und uns zur Selbsterkenntnis, zur Veränderung und zur Begegnung mit Gott führt.
Was also hilft gegen die Angst? Sich mit den eigenen Kraftquellen verbinden, sich mit anderen Menschen verbinden, sich mit dem verbinden, was höher und tiefer ist als wir selbst. Nennen wir es Gott. Die Geistkraft führt uns auf diesem Weg: etwa wenn wir beten oder meditieren, oder auch wenn wir etwas Gutes, Sinnvolles tun, für uns und für andere.
Ich versuche, die Fäden zusammenzubinden: Im Film erleben wir junge Menschen, die zaghaft die angstvolle Lähmung überwinden, die das Erlebnis des Krieges in ihnen ausgelöst hat. Hier, unter uns, mussten die meisten bislang keinen Krieg erleben, aber die Angst davor rückt uns immer stärker zu Leibe. Was können wir tun?
Jede und jeder von uns kann sich auf die Suche nach den eigenen Kraftquellen machen, um der Angst etwas entgegen zu setzen.
Wir können uns darauf besinnen, dass Hoffnung eine der Säulen unseres Glaubens ist. „Für Christen ist die Hoffnung heute Pflicht“, hat ein kluger Mensch (Heribert Prantl) auf dem Kirchentag in Hannover gesagt. Ich kenne das selbst von mir: Man könnte stundenlang alles aufzählen, was heute schrecklich und hoffnungslos ist in der Welt. Aber damit machen wir nichts besser. Diese Haltung schwächt uns weiter und verstärkt die Angst. Hoffnung ist ein bewusster Akt. Ich kann mich gewissermaßen selbst verpflichten zur Hoffnung.
Was können wir noch tun? Wir können uns solidarisieren mit denen, die schon Krieg erleben mussten. Wir können Geflüchteten mit Mitgefühl, Verständnis und tätiger Unterstützung begegnen. Das hilft nicht nur den Geflüchteten. Das hilft auch uns selbst.
Und schließlich können wir hier, in der Gemeinde, uns gegenseitig Mut zusprechen. Wir können einander fragen, wie es uns geht, wir können versuchen zu erkennen, wenn jemand Angst hat. Und wir können ein Ort sein, an dem alle Türen und Fenster offen stehen für Gottes Geistkraft.
Ich will an dieser Stelle erwähnen, dass in der Jugendarbeit dieser Gemeinde genau so ein Ort in den letzten Jahren wieder aufgeblüht ist: der Jugendkella, an dem sich freitags sehr viele Jugendliche treffen und einen Freiraum haben, den sie nach eigenen Vorstellungen miteinander füllen. Im „Kella“ weht Gottes Geistkraft, ohne dass man darüber viele Worte machen müsste. Vermutlich kann die beste Predigt nicht das bewirken, was ein solcher Ort kann: der Geistkraft ihren Weg bahnen in uns, um uns zu beleben und zu ermutigen und uns immer wieder zuzuflüstern: „Fürchtet euch nicht! Ihr seid nicht allein!“
Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.