Brich dem Hungrigen dein Brot

Diakoniegottesdienst

Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Auftrags zur Nächstenliebe, über das, was Kirche und Diakonie verbindet, hat Diakoniepfarrer Matthias Ewelt beim Diakoniegottesdienst am 27. April im Gemeindezentrum Brebach gepredigt. Seinen Text gibt es hier zum Nachlesen.

Brich dem Hungrigen dein Brot

Liebe Gemeinde,
Jesus Christus hatte seinen kaufmännischen Geschäftsführer Judas unter besonderer Beobachtung. Dem Sprecher der Geschäftsführung war das cashflow-Management ein Dorn im Auge. Die gemeinsame Unternehmensstrategie, die sie in der 13 Mann starken erweiterten Geschäftsführung erarbeitet hatten, trug wirtschaftlich keine Früchte. Der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Petrus missachtete ebenfalls alle Dienstvereinbarungen, so dass der Rest der Geschäftsführung bereits seine Loyalität in Frage stellte und um Supervision bat. Thomas fürchtete, dass der schwächelnde Liquiditätsgrad 2 in der Bilanz das Projekt „Heilen und Predigen“ in Frage stellen könnte. Während Johannes nicht müde wurde, den diakonischen Geist, das Leitbild und die Identität des Unternehmens anzumahnen. Würde das Diakonische Werk Nazareth Pleite sein, noch bevor es seinen Auftrag erfüllt hatte? Sorgenvoll blickten sie bei dieser Abteilungsleiterkonferenz in die Zukunft. Da erinnerte sie der Sprecher der Geschäftsführung an ihren eigentlichen Auftrag. Er sprach zu Ihnen von der Zuwendung zum Nächsten, er redete vom Weltgericht und von der Entscheidung über die, die sich anderen zugewendet haben und über diejenigen, die es nicht getan hatten. So, wie die Menschen mit ihm umgingen – gab er als Benchmark vor – so würden sie allen Mitmenschen
gegenüber handeln und so würden sie selbst auch behandelt werden.

Und er sprach: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Die Diakonie Saar, liebe Gemeinde, ist das Diakonische Werk der beiden Kirchenkreise Saar Ost und Saar West. Alle drei Geschäftsführende sind evangelische Christinnen und Christen, einer ist Pfarrer unserer Landeskirche. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates und der Gesellschafterversammlung sind die Superintendenten. Schon in den Strukturen und in der Führung wird deutlich, die Diakonie Saar ist Kirche, sie versteht sich kirchlich-evangelisch. Sie weiß sich gebunden an die beiden Kirchenkreise und alle ihre Kirchengemeinden. Die Mehrheit unserer 900 Mitarbeitenden im Verbund mit unseren angeschlossenen Unternehmen ist evangelisch oder gehört einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen an.

Wir sind also nicht irgendein Sozialunternehmen. Im Gegenteil: ohne diesen Hintergrund des christlichen Glaubens macht unser diakonisches Engagement gar keinen Sinn. Wir wissen uns ja von Christus zu den Mitmenschen gesandt, zu den hohen und geringen, den höchsten und geringsten aller Brüder und Schwestern. Zu allen, die Hilfe im Leben brauchen, zu allen, deren Lebensräume wir mitgestalten dürfen. Würden wir es nur deshalb tun, weil wir soziales Engagement gern mögen, dann könnten wir aufhören und unsere Arbeit anderen Unternehmen auf dem sozialen Markt überlassen. Die können das auch ganz gut. Aber weil wir in unseren Klientinnen und Klienten, unseren Bewohnerinnen und Bewohnern, den Beratung suchenden, den Wohnungslosen, den psychisch und seelisch Kranken, den Pflegebedürftigen und Sterbenden, weil wir in
diesen Menschen unseren Herrn und Bruder Jesus Christus erkennen können, müssen und wollen wir Diakonie für das Saarland sein.

Der Leiter unserer Bahnhofsmission hat mich einmal dahingehend gefragt, wie der Glaube an Gott bei ihm präsent wird. Ich hab ihm gesagt, dass Jesus täglich bei ihm sitzt. Auf sein Kopfschütteln hin hab ich ihm gesagt, dass Jesus in jedem Menschen den wir betreuen sichtbar wird. Seither sitzt jeden Tag Jesus in der Bahnhofsmission in SB und trinkt still einen Kaffee.
Glaube und Nächstenliebe ist unserer Meinung nach nicht nur für das Kämmerlein oder die Kirchengebäude. Im Gegenteil: nicht ohne Stolz kann ich Ihnen sagen, dass unsere Mitarbeitenden oft genau dahin gehen, wo es wirklich wehtut. In eine Welt, die wir oft nicht kennen, die viele nicht mal kennen wollen. Sie gehen sozusagen dorthin, wo das Wundsekret aus Jesu Seite tropft und stinkt. Selten habe ich mich in meinen über 25 Jahren als
Gemeindepfarrer und Dekan so viel mit den Fragen des christlichen Glaubens, der diakonischen Haltung und mit Jesus Christus und seiner
Bedeutung für unser konkretes Handeln beschäftigt, wie die letzten Jahre bei der Diakonie. Und das überrascht mich täglich neu. Weil wir uns als kirchliches Unternehmen über unsere Kirchlichkeit verständigen müssen, reden wir über unsere kirchliche Herkunft und unseren Auftrag. Und das ist ein wunderbares Gefühl, kann ich Ihnen sagen. Diese Selbstverständlichkeit des Glaubens. Und zwar ohne theoretische Frömmelei. Die greift bei den Menschen am Rande nicht. Christus sagt: wende dich deinem Nächsten helfend zu! Und das tun wir, jeden Tag. Die
Statistik sagt für einige tausend Menschen in jedem Jahr. Und auch die Mitarbeitenden beschäftigen sich damit, feiern Andachten und Gottesdienste, prüfen ihre Haltung, beschäftigen sich regelmäßig mit unserem Leitbild. Diakonie als „organisierte Barmherzigkeit“ – so die
Überschrift zu diesem Gottesdienst. Ja, sage ich, das sind wir als Diakonie Saar.

Die Werke der Barmherzigkeit haben wir vorhin aus der Bibel gehört. Sie überschreiben diese Predigt. Daraufhin befragt können für diakonische Unternehmen die Anführungszeichen in der Überschrift getrost weggelassen werden. Die Werke der Barmherzigkeit werden bei uns in organisierter Form wahrgenommen, angenommen und ausgeführt. Das ist nicht nur unser Geschäft, sondern Auftrag, Inhalt, Sinn und ganz oft Freude unseres Tuns. Gleichzeitig weisen die Anführungszeichen aber
auch auf das andere hin. Diakonie ist selbstverständlich viel viel mehr als
das. Anders organisiert oder gar nicht organisiert geschieht sie vielfältig in unseren Kirchengemeinden, in unseren Wohnquartieren, in der Nachbarschaft, in Initiativen oder in der Familie. Und selbst innerhalb der organisierten gibt es die unorganisierte Diakonie: die helfende Hand, die tröstende Umarmung, die gezielte Unterstützung, hunderte von Ehrenamtlichen, die bei uns aktiv sind.

Zu Beginn, liebe Gemeinde, habe ich Sie vermutlich etwas verstört oder ins Schmunzeln gebracht. Ich habe die Sprache unseres Unternehmens in die Jüngerschaft Jesu eingetragen. Tatsächlich kann die unternehmerische Sprache, die Organisationsform der Diakonie als Verein oder gGmbH, die oft wahrgenommene Trennung zwischen verfasster Kirche und Unternehmensdiakonie, manchmal verstören und manches auch verstellen. Aber in meinem Textexperiment ist es wie in der
Wirklichkeit: der eigentliche Auftrag, das Evangelium von Jesus Christus, das uns zur Gottesliebe, zur Selbstliebe und zur Nächstenliebe aufruft, das kann keine Sprache, keine Struktur und keine Metapher verstellen.
Ja, wir organisieren Barmherzigkeit ein wenig. In 140 Einrichtungen in einer gemeinnützigen GmbH, einem Betreuungsverein, zwei Pflegegesellschaften und einem integrativen
Dienstleistungsunternehmen. Sie zu üben jedoch, das haben wir nie vergessen. Denn das ist Jesu Auftrag an uns als Menschen für andere Menschen. Einen Unterschied zur unorganisierten, zur täglich gelebten Diakonie gibt es also nicht. Was wir einem unserer Geringsten tun, das tun wir Christus. Dem also, der für dich und mich leidet und ans Kreuz geht. Der für dich und mich auferstanden ist und Leben und Liebe für uns
bereithält. Für uns und alle Menschen die uns anvertraut sind. Lassen Sie uns miteinander auf diese Weise immer diakonischer werden. Denn das erfüllt uns bei der Diakonie und jede und jeden von uns mit Liebe und
großen Herzen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.