Dankbarkeit

Predigt über Lukas 17, 11-19: Die zehn Aussätzigen.
Pfarrer i.R. Stephan Hüls

Wenn ich früh morgens mit dem Rad durch die Bliesauen fahre, genieße ich diesen tollen Anblick. Die Wiesen sind von Tau benetzt, die Nebel steigen langsam auf, die Sonne taucht alles in ein wundervolles Licht. Ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit steigt in mir auf. Ich darf das sehen und erleben. Mir ist die Gesundheit und Kraft geschenkt, durch dieses tolle Naturereignis zu rollen. Ich danke meinem Schöpfer für dieses Geschenk. Und selbst dieses Gefühl der Dankbarkeit ist ein Geschenk.

An die Dankbarkeit wurde ich als Kind herangeführt. Es scheint keine selbstverständliche Gabe bei allen Menschen zu sein. Wenn ich die tolle Fleischwurstscheibe oder auch Salami beim Metzger geschenkt bekommen habe, ermunterte mich meine Mutter ‚Danke‘ zu sagen. Und das ging mir immer leicht über die Lippen. Es kam aus mir. Ich war dankbar. Und das passende Selbstbewusstsein ist mir auch geschenkt worden, so dass ich notfalls gefragt habe: „Bekomme ich heute keine Scheibe Wurst?“ Dankbar nahm ich die entgegen und habe es auch ausgedrückt.

Die dankbarsten Menschen sind mir in Behinderten-Einrichtungen begegnet. Sie sind dankbar für die Arbeitsge­meinschaft und die Möglichkeit, dort sinnvolle Dinge zu verrichten. Sie strahlen eine große Freundlichkeit und Fröhlichkeit aus. Es wird nicht die Einschränkung beklagt, sondern die Mitmensch­lichkeit dankbar angenommen und auch weitergegeben.

Dankbarkeit erkenne ich zunehmend als Lebenshaltung, ja vielleicht sogar als einen gelingenden Zugang zum Leben überhaupt. Vielleicht ist die Dankbarkeit sogar ein oder sogar der Zugang zum Glauben. Ich gebe zu: Das war jetzt ein gewaltiger Spurt von der Wurst­scheibe bis zum Glauben an Gott. Aber vielleicht sind Sie ja neugierig geworden. Die Heilungsgeschichte von den zehn Aussätzigen erscheint mir hilfreich, um diesem Phänomen etwas besser auf den Grund zu gehen.

Der dankbare Samariter

Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Als er in ein Dorf ging, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in gehörigem Abstand stehen und riefen laut: „Jesus! Herr! Hab Erbarmen mit uns!“ Jesus sah sie und befahl ihnen: „Geht zu den Priestern und lasst euch eure Heilung bestätigen!“ Und als sie unterwegs waren, wurden sie tatsächlich gesund. Einer aus der Gruppe kam zurück, als er es merkte. Laut pries er Gott, warf sich vor Jesus nieder, das Gesicht zur Erde, und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus sagte: „Sind nicht alle zehn gesund geworden? Wo sind dann die anderen neun? Ist keiner zurückgekommen, um Gott die Ehre zu erweisen, nur dieser Fremde hier?“ Dann sagte er zu dem Mann: „Steh auf und geh nach Hause, dein Vertrauen hat dich gerettet.“

Der Aussatz war Lepra. Es war eine hochansteckende Krankheit, die Beulen auf der Haut hervorrief, die dann aber auch die Knochen verfaulen ließ und die einem dem Tode sicher entgegenbrachte. Es gab für die befallenen Menschen eine Kontaktsperre wegen der hohen Infektionsgefahr. Seit Corona können wir das ein bisschen besser nachvollziehen, was das bedeutet. Diese Menschen bekamen von der Dorfgemeinschaft an einer verabredeten Stelle Essen hingestellt, das sie sich dann dort abholen konnten. Ansonsten absolute Kontaktsperre.

Die zehn waren zu einer Solidargemeinschaft zusammengewachsen, ja vielleicht kann man sogar sagen zu einer Selbsthilfegruppe geworden. Wenn man so ein Leiden hat, kann man nur noch beten, sagen wir manchmal. Stoßgebete werden zum Himmel geschickt: Herr, erlöse mich von dieser schrecklichen Krankheit. Ob das hilft, weiß man nicht. Aber man kann es wenigstens versuchen.

Viele Menschen habe ich getroffen, die mir angesichts großer Probleme von ihren Stoßgebeten und Rufen zum Himmel erzählt haben. Manche haben nicht die gewünschte Hilfe bekommen, andere aber doch. Da hat man auf dem Beifahrersitz gesessen und innerlich gefleht, lass mich heil nach Hause kommen, der fährt ja wie der Henker. Und dann ist man wieder zuhause, ohne Unfall und lebend. Betet man dann noch einmal: Danke, dass du mich bewahrt hast. Danke, dass du den Gegenverkehr an den passenden Stellen aufgehalten oder umgeleitet hast?

Ich wurde als kleiner Junger ermuntert, danke zu sagen, wenn ich etwas geschenkt bekommen habe. Bei erhörten Gebeten bekomme ich auch etwas geschenkt. Das Danke klemmt aber manchmal fest. Manchmal vergisst man es …

Manchmal spüre ich eine Welle von Dankbarkeit...

Manchmal spüre ich eine Welle von Dankbarkeit...

Und wenn Sie jetzt sagen: Ups, da habe ich schon ein paar Mal das Danke sagen vergessen, dann sind wir in großer Gemeinschaft. Also ich möchte die neun, die zehn in Schutz nehmen. Da sind sie, die Solidargemeinschaft der Ausgestoßenen. Sie verhalten sich offenbar nach den Regeln, die ihnen die Gemeinschaft auferlegt hat. Von Ferne rufen sie – sie halten Abstand. Sie bauen Kontakt auf zu dem, von dem sie vielleicht gehört haben, dass er in besonderen Lebenslagen helfen kann. Sie lassen einen Versuchsballon des Gebets steigen. Jesus! Herr!, hab Erbarmen mit uns!

Es gibt keine Heilung mit Handauflegung. Das Infektionsschutz­gesetz lässt das nicht zu. Es gibt auch keine Fernheilung auf 25 Meter Entfernung. Das wäre Magie. Jesus ruft ihnen zu: Geht zum Priester und lasst euch die Heilung bestätigen. Sie schauen an sich herunter. Der Körper ist weiterhin mit Beulen übersät. Sie sollen zum Priester gehen. Die Priester hatten damals die Funktion des Gesundheitsamtes. Sie waren befugt das Ende der Infektion zu bestätigen. Also wie ein negativer Corona Test und dann konnte man wieder mit den Freunden zusammen einen drauf machen. Als Jesus sie auffordert zum Priester zu gehen, ist von Heilung nichts zu sehen. Erst auf dem Weg zum Priester setzte offenbar ein Heilungsvorgang ein. Sich krank auf den Weg zu machen, braucht einen großen Vertrauensvorschuss.

Sie waren noch so befallen wie in den vielen zurückliegenden Wochen. Das, was die neun, die zehn da machen, hat schon ganz viel mit Glauben zu tun. Sie machen sich sozusagen mit leeren Händen auf den Weg, vertrauen Jesus, vertrauen Gott, dass er hilft und sie heilt. Fänd‘ ich klasse, wenn ich immer wieder mal so viel Vertrauen hätte. Die Bedenken sind bei mir manchmal so groß, dass ich die Füße nicht voreinander kriege. Als die zehn unterwegs sind zum Gesundheitsamt, bemerken sie die Veränderung, die Genesung. Neun gehen weiter zum Priester – aber einer kommt nicht weiter. In ihm steigt eine riesige Welle der Dankbarkeit auf. Er muss Jesus ‚Danke‘ sagen für die Heilung.

Manchmal spüre ich auch diese Wellen von Dankbarkeit, nicht nur im Bliesgau oder bei der Fleischwurst. Wenn ich auf mein Leben blicke, dann habe ich an nicht wenigen Stellen so etwas wie ein wundersames Eingreifen Gottes gespürt. Auch wenn sich bei mir negative Dinge einstellten, ergaben sich sogar oftmals wieder positive Wendungen. Das löst eine große Dankbarkeit in mir aus.

Interessant ist im Hebräischen wie auch im Griechischen: Wenn das Verb danken sich an Gott wendet, wird es bei gleichem Wort zum Loben. Ich danke Gott, ich lobe Gott für das tolle Eingreifen – für das tolle Geschenk. Im Deutschen haben wir zwei Worte: loben und danken. Die beiden alten Sprachen haben nur ein Wort für beide Geschehen. Wenn das Danken ein Gegenüber hat – ein Objekt – verändert es sich von allein zum Loben. Der Gedanke im Hintergrund: Danken richtet sich (in den alten Sprachen) an ein Gegenüber, und dieses Danken lobt den Anderen. Ich finde diesen Aspekt in den Sprachwurzeln toll, ja ermunternd mein Gefühl des Dankes, meine Worte des Dankes in ein fröhliches Loben übergehen zu lassen.

Und jetzt erscheint noch eine Spitze in dieser kurzen Episode. Der, der zurückkommt, um sich bei Jesus zu bedanken, ist kein normaler Synagogenbesucher, kein normaler Kirchgänger, sondern ein Samariter. Einer, der seinen Glauben anders lebte, der nicht zur regulären Glaubensgemeinschaft gehörte. Jesus sagt zu ihm: Dein Vertrauen, dein Glaube hat dich gerettet. Die zehn sind gesund geworden, und der eine ist nicht nur gesund geworden sondern er wurde gerettet, weil er glaubte und die aufsteigende Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht hat.

Für ihn bleibt es nicht beim Stoßgebet, sondern er sagt Danke für die erfahrene Heilung. Es kommt zum Dialog – denn Vertrauen zueinander setzt Dialog – Gespräch voraus. Vertrauen wächst erst – Glaube kommt erst zu Stande – wenn man miteinander austauscht. Steh auf und geh. Dein Glaube hat dich gerettet, sagt Jesus zu ihm. Der Dialog mit Jesus setzt in Bewegung – setzt ein Ziel.

Ich übertrage das auf unsere heutige Situation: Ein Stoßgebet setzt einen grundsätzlichen Glauben voraus. Ein Gefühl, dass es eine höhere Macht gibt. Heilung kann möglich werden. Das erfahren und erleben viele von uns immer wieder. Natürlich gibt es auch viele, die ihr Lastenpaket immer noch tragen, das will ich nicht verschweigen. Allerdings möchte ich auch mit Blick auf mich sagen: Irgendwie sind die aufgepackten Lasten meistens irgendwie erleichtert worden.

Gott wünscht sich, dass es nicht nur bei dieser Heilung bleibt, sondern dass es zu einem Dialog kommt – zu einem Gespräch – zu einem wachsenden Glauben. Er will mit uns reden, möchte uns ein Ziel für unser Leben geben. Nicht nur unsere Heilung, unsere körperliche Unversehrtheit, ist ihm wichtig, sondern in viel stärkerem Maße wünscht er uns Heil, Rettung – eine lebendige und dialogische Beziehung zum lebendigen Gott. Gott freut sich über jeden, dessen Glaube wächst.

Ich lade uns ein, dieses Gefühl der Dankbarkeit zuzulassen, ja in diese Wolke der Dankbarkeit einzutauchen, dieser positiven Lebenshaltung einen Freiraum zu geben. Wie schön, wenn wir darüber mit Gott ins Gespräch kommen, dann ist die Rettung nahe. Amen.